»Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen.«   Anton Bruckner

Die neue Entscheidungskultur

Wissen über menschliche Entscheidungsprozesse

Gute Entscheidungen sind die Voraussetzung für Erfolg. Die Klarheit darüber, was gute Entscheidungen auszeichnet und wie sie hergestellt werden, erlaubt erst den Aufbau einer neuen Entscheidungskultur.

Sie erfordert das Wissen über den menschlichen Entscheidungsprozess. Erst dann werden Führungskräfte souverän gute Entscheidungen herstellen und dysfunktionale Einflüsse vermeiden. Das erfordert die Bereitschaft, vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen, damit die Offenheit entsteht, Neues zu erfahren und zu lernen.

Gute Entscheidungen führen zu einem Commitment bei Mitarbeitern, Führungskräften und allen Beteiligten.

Wie man gute Entscheidungen erkennt

Das Herstellen guter Entscheidungen gehört zum Handwerkszeug jeder Führungskraft, damit sie ihre und die unternehmerischen Ziele sicher erreicht. Entscheidungen müssen gleichermaßen dem Schutz des Unternehmens dienen und die Einflussnahme sicherstellen, damit Risiken vermieden sowie Chancen erkannt und umgesetzt werden.

Darüber hinaus müssen sie einem komplexen Netzwerk aus Prämissen und Rahmenbedingungen genügen, die an der Vision und den Zielen sowie den daraus abgeleiteten Werten des Unternehmens ausgerichtet sind.

Eine gute Entscheidung kann bereits mit einer gewissen Sicherheit zum Entscheidungszeitpunkt gemessen werden: durch die Anzahl der Prozess-Beteiligten, die die Entscheidung gemeinsam tragen und ihr nicht lediglich zustimmen. Auch die genutzte Gruppenkompetenz und das eingeflossene und notwendige Expertenwissen zeigen eine gute Entscheidung an.

Eine gute Entscheidung stellt man in angemessener Zeit her. Sie setzt einen Prozess nachweislich in Gang, der zeitlich später eine gute Wirkung zeigt.

Gute Entscheidungen entstehen durch Entscheidungsprozesse

 

Eine gute Entscheidung bedingt die Abkehr von idealisierten Führungsmodellen und Führungspersonen.

Anforderungen an ein Entscheidungsmanagement

Ein modernes Entscheidungsmanagement erfordert eindeutige und einfach anwendbare Entscheidungsprozesse. Aus den Anforderungen der Unternehmen lässt sich ableiten, welche Prozesse ein modernes Entscheidungsmanagement umfassen muss.

Ein prozessorientiertes Entscheidungsmanagement macht das Entscheiden in Unternehmen für Führungskräfte und Mitarbeiter sicher, schnell und nachvollziehbar.

Ausgangssituation in Unternehmen

In Unternehmen wird überwiegend konservativ entschieden, und es werden immer mehr zweitbeste Entscheidungen getroffen. Die Entscheidungsprozesse dauern zu lange, und sie werden nicht gemeinsam getragen, was oft zu halbherziger Umsetzung führt, die dann die gewünschte Wirkung verfehlt.

Abbildung: Treiber auf das Entscheidungsmanagement

Die unternehmerische Welt wird komplexer, sie verändert sich zunehmend schneller, sie wird mehrdeutiger und weniger vorhersagbar, und es werden immer mehr Personen an den Entscheidungsprozessen beteiligt. Vorangetrieben wird dieser Trend vor allem durch die Digitalisierung als Megatrend, der nahezu alle Geschäftsmodelle erreicht.

Die agilen Arbeitsmethoden führen zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel im Projektvorgehen und erzwingen gleichzeitig ein agiles Führungsverhalten auf Augenhöhe in flachen Hierarchien.

Die Maxime, das Beste aus Mitarbeitern herauszuholen, ist eine Einbahnstraße. Eine Führungskraft und die Team-Mitglieder beeinflussen und bereichern sich gegenseitig. Diese gestaltende Kraft ist zu steuern.

Werte aus den agilen Methoden

Die Erfahrung zeigt, dass Initiativen häufig zu unbestimmt und Projekte zu komplex sind, um sie in einem Projektplan vollständig zu beschreiben und damit erfolgreich zu steuern. Jenseits des Hypes steht das agile Manifest tatsächlich für einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Projektvorgehen. Der agile Ansatz stattet Projekte und Vorhaben mit der notwendigen Flexibilität und Handlungsfreiheit aus, um in disruptiven Märkten bestehen zu können.

Abbildung: So entsteht Unternehmenskultur

 

Der Glaube an einen perfekten Plan wird ersetzt durch schnelles Feedback auf die Wirkung von Entscheidungen und Handlungen. Eine zwanghafte finale Zielerreichung wird aufgegeben und durch eine konsequente kontinuierliche Verbesserung abgelöst.

Gruppenkompetenz aktivieren

Unternehmen und Teams, die die digitale Transformation gestalten und von ihr profitieren wollen, sind heute gefordert, ihre komplette Gruppenkompetenz, manchmal mit Schwarmintelligenz oder Schwarming verwechselt, zu aktivieren. Führungsstärke, die Kraft, eine Entscheidung alleine zu fällen, geht dann über in eine Führungskompetenz, die dafür sorgt, gemeinsam getragene Entscheidungen herzustellen. Folgen Entscheidungsprozesse einer Designvorgabe, wie menschliches Denken und Entscheiden funktioniert, kommt die Gruppenkompetenz selbstorganisiert zur vollen Entfaltung. Das Ergebnis der Zusammenarbeit wird von der Gruppendynamik nicht blockiert, verzerrt oder zerstört.

Gruppenkompetenz entsteht durch die Befähigung der einzelnen Mitarbeiter, ihre Kompetenzen in eine gemeinsam getragene Entscheidung einzubringen.

Entscheidungsphänomene berücksichtigen

Menschen neigen dazu, falsche Entscheidungen zu treffen und getroffene Entscheidungen mit falschen Begründungen zu versehen. Dieses Verhalten spiegelt sich in unterschiedlichen Entscheidungsphänomenen wider wie den Bestätigungsfehler, den Rückschaufehler, die Kontrollillusion, die Emotionale Beweisführung, den Halo-Effekt (hàlos = Lichthof) und viele mehr.

Menschen tendieren dazu, das eigene Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen, so die Vermessenheitsverzerrung. Diese Tendenz ist bei inkompetenten Menschen stärker, was zu fatalen Folgen führt.

Das Wissen über falsche Entscheidungen und Verzerrungen ist schon lange bekannt und die Einflüsse dafür müssen in normierten Entscheidungsprozessen vermieden werden.

Vielfalt fördern und nutzen

Gruppenintelligenz ist dann am höchsten, wenn die Gruppe heterogen ist, also die weiblichen und männlichen Qualitäten sowie die von Alt und Jung und ebenso die von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen genutzt werden.

So ist der weibliche Anteil, unabhängig vom Geschlecht, risikoscheuer und sorgt für Sicherheit, der männliche Anteil sucht mehr nach Chancen, ist risikobereiter und nimmt Einfluss. Die Besonderheiten des Alters bieten Souveränität und Erfahrung.

Ein robuster Prozess, der gemeinsam getragene Entscheidungen herstellt, sorgt für eine funktionale Reihenfolge, damit die Qualitäten aller einfließen. Der notwendige Wertewandel findet als Begleiteffekt statt, wenn mit erfolgreichen Entscheidungen angenehme Erfahrungen gemacht werden.

Das vorherrschende männlich-autoritäre Führungsverständnis sollte in ein wertschätzendes Miteinander von Mann und Frau, Jung und Alt sowie Menschen unterschiedlicher Herkunft überführt werden.

Den Menschen als unzuverlässigen Entscheider berücksichtigen

Unterschiedliche ausgewiesene Experten treffen bei gleicher Datenlage widersprüchliche Entscheidungen. Genauso wie ein und derselbe Expert an unterschiedlichen Tagen mit derselben Datenlage signifikant abweichende Einschätzungen und Prognosen erstellen.

Der Entscheider steht heute vor dem Dilemma, dass er gute Entscheidungen treffen muss, obwohl er sich bewusst ist, dass die kognitiven Verzerrungen auch bei ihm wirken. Der bisher nicht aufgelöste Widerstreit zwischen Vernunft und Gefühl oder rationaler und intuitiver Entscheidung polarisiert die Entscheidungsdiskussion.

Die zunehmende Anzahl von Beteiligten, die gute Entscheidungen blockieren, verzerren oder zerstören, schürt die Angst vor ausufernder Gruppendynamik.

Der natürliche Zielkonflikt einer Entscheidung zwischen den unternehmerischen und den persönlichen Interessen lassen den Ruf nach Entscheidern mit der beschworenen Führungsstärke, gerade im Hinblick auf die unternehmensgefährdenden Skandale der Vergangenheit, im Zwielicht erscheinen.

Tatsächlich brauchen Entscheider ein erklärendes Konzept und wirkungsvolle Werkzeuge. Ein zukünftiges Entscheidungsmanagement akzeptiert den unzuverlässigen menschlichen Entscheider und stellt Prozesse zur Verfügung, damit dieser trotzdem gute Entscheidungen treffen kann.

Algorithmen und Künstliche Intelligenz richtig einsetzen

Das Phänomen unterschiedlicher Expertenmeinungen gilt auch für die Ergebnisse durch Algorithmen. So liefern häufig einfache Algorithmen mit wenigen Informationen präzisere Prognosen als komplexe Algorithmen mit vielen Informationen. Der Widerspruch der Ableitung, Algorithmen seien besser als unzuverlässige Entscheider, ist bedenklich, wenn Algorithmen ebenfalls unterschiedliche und widersprüchliche Prognosen liefern.

KI ist bereits Realität, es geht nur noch darum, das Richtige richtig zu tun.

So kann die statistische Voraussage nur als eines der Modelle herangezogen werden, um zu ergründen, warum die menschliche Entscheidung, bauartbedingt, durch das Zusammenwirken zwischen Emotion und Kognition, so ist, wie sie ist.

Die Aufgabe besteht darin, mit einem Verständnis von Emotion, Intuition und Kognition, Algorithmen so zu designen und einzusetzen, dass sie gute Entscheidungen autonom produzieren, jedoch auch gezielte menschliche Entscheidungen unterstützen.

Grenzen der statistischen Voraussage kennen

Prognoseverfahren erfüllen den tiefen menschlichen Wunsch, vorauszusagen, was die Zukunft bringt, um Entscheidungen und Handlungen daran auszurichten.

Die statistische Prognose ist nur ein Entscheidungsmodell, das die Kognition, das bewusste menschliche Denken und Entscheiden, ergänzen kann. Eine kognitive Entscheidung ist keine statistische Entscheidung. Die Kognition ist in der Lage, eine Entscheidung zu treffen, die einer statistischen Voraussage nicht blind folgt.

Heuristiken nutzen

Die blitzschnelle Reaktion der Intuition könne nur auf wenigen Daten erfolgen, heißt es oft. Das ist zwar ein nachvollziehbarer und einleuchtender kausaler Schluss, jedoch ein unzulässiger. Bei hoher Verarbeitungsgeschwindigkeit von wenigen Informationen und einfacher Verarbeitungslogik auszugehen, legt nahe, dass hier eine Emotionslogik nicht betrachtet wurde.

Heuristiken sind bewusste Entscheidungen, die gezielt benutzt und auch in Künstlicher Intelligenz implementiert werden sollten.

Die Intuition bewusst einsetzen

Wenn zum einen die Kognition als auch die Intuition sowohl unbefriedigende als auch angemessene Ergebnisse zeigen, ist die Frage, was nun besser sei, nicht mehr zielführend.

Eine rationale Entscheidung ist nicht möglich, wenn weder ausreichend Zeit noch genügend oder valide Daten zur Verfügung stehen. Für diese Situationen ist eine Heuristik als bewusster Ersatz der Intuition oder die Intuition selbst eine geeignete Entscheidungsstrategie.

Ein zukünftiges Entscheidungsmanagement integriert die bewusste Nutzung der Intuition und eine Implementierung mit KI-Methoden als nachfolgende Konsequenz.

Design-Vorgaben

Menschen verfügen über zwei Entscheidungssysteme, das Emotions- und das Kognitionssystem. Diese arbeiten parallel, weitgehend autonom und kommen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, auf Basis unterschiedlicher Gedächtnissysteme, zu unterschiedlichen Entscheidungen. Beide Entscheidungssysteme verarbeiten ein und denselben Stimulus auf unterschiedliche Art und Weise und kommen zu einer eigenen Bewertung und spezifischen Bedeutung.

Maßgeblich für das Design von Entscheidungsprozessen ist die unterschiedliche Geschwindigkeit beider Systeme mit gleichzeitig einhergehender Parallelität, die eine Reihenfolge von Prozessschritten vorgibt.

Abbildung: Orientierung an menschlichen Entscheidungssystemen und -prozessen

Über die rationale Logik hinausgehen

Die ungeklärten Phänomene, die von der rationalen Logik abweichen, werden von den deskriptiven Wissenschaften wie der Philosophie, Logik, Psychologie und entsprechend auch den normierenden Wissenschaften wie der Wirtschaftswissenschaft als irrational bezeichnet.

Ungeachtet des höheren Risikos stiegen Amerikaner nach 9/11 verstärkt auf das Auto um, was dazu führte, dass es 2011 und in den ersten Jahren danach schätzungsweise 1.600 mehr unfallbedingte Todesfälle pro Jahr gab, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Es ist zu bezweifeln, dass sich Menschen bewusst gegen die Statistik entschieden haben.

Eine schlüssige Kognitions-, Emotions- und Intuitionstheorie berücksichtigt das Zusammenwirken der Entscheidungssysteme als Basis eines gelungenen Entscheidungsmanagements und eine konsequente Implementierung mit KI-Methoden.

Die Logik des Irrationalen kennen

Wie jeder weiß, lassen sich viele rationale Entscheidungen auch bei bestem Willen nicht mit guten Gründen erklären. Alles außerhalb der rationalen Logik sei irrational, so die Meinung seit mehr als 2000 Jahren. Damit wurde das unbekannte Terrain außerhalb der rationalen Logik entwertet, als unvernünftig stigmatisiert, aber auch mystifiziert.

Bereits seit mehr als hundert Jahren ist erkannt, dass grundlegende Phänomene nicht mit der rationalen Logik zu beschreiben sind. Die Entscheidungswelt hält fest an den Paaren von Schwarz-weiß, Gut-schlecht, Vernunft-Unvernunft und der rationalen und irrationalen Entscheidung.

Die rationale Logik alleine kann nicht anhand von Verhaltensmustern beschreiben, warum Menschen falsche Entscheidungen treffen und die getroffenen Entscheidungen danach mit falschen Begründungen versehen.

Erst eine Erklärung über den Horizont der rationalen Logik hinaus kann menschliches Verhalten mit Hilfe der Kognitions-, Intuitions- und Emotionslogik erklären. Deren Interaktion bestimmt sowohl funktionales als auch dysfunktionales Verhalten.

Die bewusste Entscheidung nach vernünftigen Gründen aktiviert die Kognition und forciert, dass die sozialen Emotionen eingebunden werden. Diese seit Jahrtausenden gelebte Qualität sollte erhalten bleiben, jedoch unter Berücksichtigung der Erkenntnis, wie Emotionen, Intuition und Kognition zusammenarbeiten.

Wie eine neue Entscheidungskultur entsteht

Das Zusammenspiel von Kognition, Intuition und Emotion als gegenseitig sich beeinflussende Prozesse zu erkennen, erfordert zyklisch-evolutionär zu denken, zu entscheiden und zu handeln. Gute Entscheidungsprozesse orientieren sich an diesem menschlichen Entscheidungsprozess und den unternehmerischen Anforderungen gleichermaßen.

Dann kann eine neue Entscheidungskultur entstehen, als Ergebnis eines erfolgreich eingeführten Entscheidungsmanagements, zu dem Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen gerne ihren Beitrag leisten. Die heutigen disruptiven Märkte erfordern schnelle und gemeinsam getragene Entscheidungen, die dann möglich werden. Unternehmen mit traditionellen Führungsstrukturen profitieren davon in gleicher Weise wie agile Unternehmen und die sich widersprechenden Führungsparadigmen werden zusammengeführt.

Abbildung: Wie eine Entscheidungskultur entsteht
»Wer hohe Türme bauen will, muss lange am Fundament verweilen.«
Das Fundament eines unternehmerischen Entscheidungsprozesses muss an den menschlichen Entscheidungsprozessen orientiert sein, und dazu gehören die Emotionen, die Intuition und die Kognition.
Das Wissen um die Untrennbarkeit der Entscheidungssysteme ist zuerst aufzubauen.