»Analysieren bedeutet lernen, Unterschiedliches zusammenbringen bedeutet wachsen.«

Das K-i-E Konzept

Wie der Mensch funktioniert

Das K-i-E Konzept, das das Zusammenspiel von Kognition, Intuition und Emotion erklärt, verbindet erstaunliche, nahezu revolutionäre Ergebnisse der Arbeit von Richard Graf der letzten 25 Jahre. Die Konfrontation mit Phänomenen im menschlichen Verhalten und in Unternehmen, die sich widersprachen und nicht zu erklären waren, erzwang ein neues und schlüssiges Weltbild. Mit dem K-i-E Konzept erhalten Menschen eine konkrete Orientierung, wie sie nicht ausreichende Konzepte zu Entscheidungsstrategien ablösen und sich einem umfassenden Konzept zuwenden können.

Das K-i-E Konzept

Einer jeden Handlung geht eine Entscheidung voraus, unabhängig davon, ob sie bewusst getroffen wurde oder nicht. Wer leben und überleben will, muss handeln. Somit sind Entscheidungen etwas sehr Archaisches und dienten und dienen noch heute dem Leben und Überleben. Zugleich sind Entscheidungen im Business die Kerntätigkeit der Führung. Sie stellen die Königsdisziplin der hohen Kunst des Führens und Geführt-Werdens dar.

Phänomene, die zur Entdeckung des K-i-E Konzeptes führten

Unerklärliche Verhaltens- und Entscheidungsphänomene waren gleichermaßen ein Zugang für die Entdeckung der K-i-E Theorie, wie die K-i-E Theorie selbst wiederum die Phänomene erklären kann.

Mehrere Entscheidungssysteme

Die aktuellen Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften gehen von mehreren 10.000 Entscheidungen pro Tag aus. Ein Mensch kann während der Wachzeit eine so große Anzahl von Entscheidungen nicht mit seinem Kognitionssystem bewusst treffen.

Es muss also ein anderes, ein sehr schnelles Entscheidungssystem geben, das Emotionssystem, das die Entscheidungssequenz offensichtlich schneller als die Vernunft, das Kognitionssystem, verarbeitet.

Abbildung: Zwei Entscheidungssysteme

Der Libet-Versuch

Bereits 1964 verblüfften Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke, zwei deutsche Neurologen, die Wissenschaft mit der These, man könne das Verhalten von Menschen durch Maschinen voraussagen. Sie hatten eine elektrische Potenzialänderung entdeckt, die sie Bereitschaftspotenzial (BP) nannten, das einer Handlung zeitlich vorausgeht. Der Ausflug in die Vorherschau der Zukunft durch einen Automaten endete in einer Fehlinterpretation über den freien Willen.

Der amerikanische Physiologe Benjamin Libet erweiterte den Versuchsaufbau um die bewusste Entscheidung, damit er die freie Entscheidung mit einer anschließenden Handlung vollständig vermessen konnte. Seine Messungen ergaben, dass der Entscheidungsprozess nur 550 Millisekunden dauert. Das Bereitschaftspotenzial wird jedoch etwa 350 Millisekunden vor und nicht, wie erwartet, nach der bewussten Entscheidung aufgebaut.

Abbildung: Der Libet-Versuch

 

Deutlich wurde, irgendwie hat irgendetwas bereits entschieden, dass die linke oder rechte Hand gehoben wird, bevor man sich bewusst dafür entscheidet. Die Welt stand Kopf und die Diskussion um den freien Willen war entfacht. Die Entscheidung fällte das Emotionssystem.

Abbildung: Auflösung des Libet-Versuchs

 

Der Libet-Versuch wurde in den folgenden Jahrzehnten mehrfach wiederholt, mit dem Ziel, den freien Willen nachzuweisen oder zu widerlegen. Dabei wurde das unglaubliche Messergebnis immer wieder bestätigt. John-Dylan Haynes wandte 2008 und 2016 bildgebende Verfahren an. Sein Fazit: „Der Befund von Libet ist damit nicht nur bestätigt, sondern mächtig verschärft.“

Zwei Rechensysteme – mühelos und mühevoll

Versuchen Sie, die folgenden Tests einfach mitzumachen und die Fragen zu beantworten. Achten Sie dabei auf Ihren inneren Prozess und weniger auf das richtige Ergebnis.

  • Wie viel ist drei mal drei? (3 * 3 = ?)
  • Wie viel ist siebzehn mal dreiundzwanzig? (17 * 23 = ?)
Abbildung: Zwei Entscheidungssysteme

Das Emotionssystem hat eine eigene Logik

Beantworten Sie eine Frage, die an den „Cognitive Reflection Test” nach Shane Frederick (2005) angelehnt ist. Achten Sie dabei auf Ihren ersten inneren Impuls:

Ein Kaffee und ein Keks kosten zusammen 1,10 €. Der Kaffee kostet 1,00 € mehr als der Keks. Wie viel kostet der Keks?

 

Abbildung: Das Emotionssystem ist bedingt für Rechenaufgaben geeignet

 

Die intuitive Antwort von 10 Cent ist falsch, wenn sie unaufgefordert, schnell und mühelos kam.

Das Emotionssystem arbeitet autonom

Die Neurolinguistin Pia Aravena und ihre Kollegen an der Université de Lyon untersuchten 2012 die Wirkung von Sätzen auf die unterschwellige, dem Bewussten nicht zugängliche Muskelspannung. Ein Sensor in der rechten Hand registrierte eine Muskelspannung, wenn über einen Kopfhörer ein Satz eingespielt wurde. Sie untersuchten Sätze, die eine Handlung beschrieben oder negierten, sowie neutrale Beschreibungen. Bei Sätzen, die eine Handlung beschrieben, wie „Laure soulève son bagage“ (Laura hebt ihr Gepäck), wird bereits eine Muskelanspannung nach gut 200 Millisekunden gemessen, die bis etwa 500 Millisekunden anhält.

Abbildung: Das Emotionssystem arbeitet autonom

 

Die Teilnehmer registrierten von diesen Vorgängen nichts, da die Abläufe vor der bewussten Wahrnehmung beendet waren.

Obwohl die Beteiligung der Sprachverarbeitung auf die motorischen Gehirnstrukturen untersucht wurde, bestätigten die gemessenen Zeiten den Libet-Versuch.

Man kann sich erinnern, ohne sich zu erinnern

Der Schweizer Arzt und Psychologe Edouard Claparède untersuchte Anfang des 20. Jahrhunderts einen Fall von anterograder Amnesie, einem Gedächtnisverlust für Vorgänge nach einem Unfall. Wie bei Patienten mit dieser Krankheit üblich, konnte er sich gut mit ihr über die Vergangenheit austauschen, also über Vorgänge vor ihrem Unfall. Sie konnte aber nichts Neues erinnern. Dem lagen Verletzungen im Kurzzeitgedächtnis zugrunde. So ist die Speicherung im Langzeitgedächtnis beeinträchtigt oder nicht mehr möglich.

Die Begegnung zwischen der Patientin und Claparède geschah immer mit demselben Ritual. Er begrüßte sie bei jeder Konsultation, indem er sich jedes Mal wieder vorstellte, da keinerlei Erinnerung an die vorhergehenden Begegnungen im Kognitionsgedächtnis gespeichert war. Danach reichte er ihr seine Hand, die sie mit einem Händedruck erwiderte.

Einmal reichte Claparède der Patientin seine Hand, in der ein Reißnagel in seiner Handfläche verborgen war. Der Reißnagel löste Schreck und Schmerz bei der Patientin aus. Bei der nächsten Konsultation wurde das übliche Ritual wiederholt. Nach seiner Vorstellung reichte er ihr die Hand, und sie weigerte sich, ihm die Hand zu schütteln. Sie konnte keinen Grund dafür angeben, da sie nicht mehr lernte und folglich keine Erinnerung über das vorherige Ereignis mit dem Reißnagel vorhanden war.

Abbildung: Es gibt ein Lernen, ohne dass es dem Bewussten zugänglich ist

Das kohärente Weltbild

Das nachgelagerte Kognitionssystem bringt bei bewussten Entscheidungen den Impuls mit dem einhergehenden Gefühl aus dem Emotionssystem mit dem Ergebnis der kognitiven Verarbeitung in ein kohärentes Weltbild zusammen. Bei weitgehender Übereinstimmung der Entscheidungssysteme gelingt das kohärente Weltbild mühelos. Zwei Systeme bergen jedoch das Risiko für divergierende Entscheidungen. Eine steigende Abweichung geht mit zunehmenden unangenehmen Gefühlen einher, die wieder ein Gefühl von Getrenntsein und Zerrissenheit erzeugen. Ab einer bestimmten Abweichung gelingt das kohärente Weltbild nur noch, wenn das Ergebnis des Emotionssystems als nicht mehr zugehörig empfunden wird. Das sind der Preis und die Konsequenz für diesen neurologischen Wirkmechanismus.

 

Abbildung: Das Kognitionssystem erstellt ein kohärentes Weltbild

 

Das kohärente Weltbild gibt dem Menschen selbsthergestellte Sicherheit. Die emotionale Entscheidung – bei affekthaftem Wegspringen vor einem Zweig in der Dämmerung – wird mit der kognitiven Wahrnehmung in ein kohärentes Weltbild zusammengebracht, indem man annimmt, man hätte eine Schlange gesehen.

Das Motiv der Angst mit Sorge um Sicherheit, das durch die affekthafte Handlung bereits umgesetzt wurde, lässt durch das Kognitionssystem den Zweig als unspezifische Schlange erscheinen.

Sobald eine bewusste Entscheidung entsteht, sind die Entscheidungssysteme untrennbar, weil das Emotionssystem schon aktiv war, um dann das Kognitionssystem zu aktivieren.

Eine fehlgeschlagene Übernahme mit einer ungünstigen Marktentwicklung zu begründen, entspringt der Suche nach dem kohärenten Weltbild, um die Schuld für die Fehlentscheidung zu vermeiden. Ein Experte in Mergers & Acquisitions wird eine andere und differenziertere Erklärung auf Grundlage seines Erfahrungswissens liefern.

Das bestätigen auch die Studien der Gedächtnisforscherin und Rechtspsychologin Julia Shaw, wenn sie unsere Erinnerungen als unzuverlässig beschreibt. Aber ihre Annahme, das Gehirn würde unsere Erinnerungen fälschen, bekommt mit dem kohärenten Weltbild einen ganz anderen Tenor und eine viel stimmigere Erklärung.

Das kohärente Weltbild muss nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Meist stimmt es tatsächlich nicht damit überein. Dieses Wissen erlaubt Entscheidern, souverän mit den eigenen und den kohärenten Weltbildern anderer umzugehen, um zu guten Entscheidungen zu kommen.

Die Untrennbarkeit der Entscheidungssysteme gilt für die Wahrnehmung wie für die Erinnerung gleichermaßen.

Gedanken kreisen

Das bewusste, durch das Kognitionssystem hergestellte, kohärente Weltbild kann wieder als internaler Stimulus dienen. Die bewusste Entscheidung wird nicht direkt in ein Verhalten umgesetzt, sondern kann in weiteren vorläufigen Prozessen in vielfältiger Weise überformt werden. Die Gedanken beginnen zu kreisen, wie es der Volksmund so schön beschreibt. Nach dem ersten Entscheidungsprozess (1.1 bis 1.5) kann das kohärente Weltbild (1.5) zum internalen Stimulus (2.1) werden, wenn das Verhalten (6) nicht sofort ausgeführt wurde. Das Stoppen des Verhaltens (6) ist nur durch die kognitiv überformte Entscheidung möglich. In einem zweiten Entscheidungszyklus (2.1) kann die kognitiv überformte Entscheidung in Zyklen zu einer guten Entscheidung geformt werden. Kognitive Entscheidungen (1.5) sind solange vorläufig, bis sie in ein Verhalten umgesetzt werden, das anschließend eine Wirkung (7) erzeugt.

Abbildung: Gedanken kreisen

 

Wird die kognitiv überformte Entscheidung (1.5) nach mehreren Zyklen in Verhalten (6) umgesetzt, so wird dieses zum externalen Stimulus (3.1), der einen erneuten Entscheidungszyklus anstößt, welcher wiederum mit einer Begründung der Entscheidung endet.

Zeigt das umgesetzte Verhalten (6) später eine Wirkung (7), so wird diese zum externalen Stimulus (4.1), der einen erneuten Entscheidungs- beziehungsweise einen Bewertungszyklus anstößt. Ist die Einschätzung der Wirkung eine erwünschte oder intendierte, wird sie in Verbindung mit dem Verhalten und der Entscheidung gebracht. Wird die Wirkung negativ bewertet oder verfehlt sie das ursprünglich intendierte Ziel, werden andere Gründe zur Rechtfertigung gefunden.

Ein Zyklus wird dann zum letzten, wenn er vom Emotionssystem als stimmig bewertet worden ist.

Das kohärente Weltbild ist ein zwingender und notwendiger Abschluss der Entscheidungszyklen. Es liefert der Emotionsverarbeitung das Ergebnis „stimmig“, so als wären alle Motive ins Ziel gekommen und keine Handlung mehr nötig. In diesem Fall wird das Kognitionssystem nicht mehr aktiviert und das anstrengende Denken endet.

Rechthaben wollen ist nur die Folge eines archaischen Wirkmechanismus und endet nach einem stimmigen Signal aus dem Emotionssystem. Solange das nicht eingetreten ist, führt das unangenehme Gefühl dazu, erneut das letzte „stimmige“ Wort haben zu wollen.

Begründungen, Kausalitäten, Rechtfertigungen, kohärente Weltbilder auch in dysfunktionaler Form wie postfaktische Aussagen, Narrative, Fake News oder populistische Aussagen erfüllen alle diese Architektur- und Prozessmerkmale der menschlichen Entscheidungssysteme. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass das kohärente Weltbild auch als internaler Stimulus in den als Doppler (2.1) fungierenden Thalamus zurückgeführt werden kann.

Aufbau des Gehirns

Body-Text: Unser Gehirn hat sich nicht nach einem vorgegebenen Bauplan entwickelt, sondern sich evolutionär an die Herausforderungen des täglichen Lebens angepasst und weiterentwickelt. Dabei wurde ein weniger funktionales Gehirnareal nicht stillgelegt und durch ein funktionaleres ausgetauscht. Unser Gehirn hat sich mehr oder minder in Stufen entwickelt. Dabei entstanden redundante und überlagernde Funktionen, die in den alten und neuen Arealen parallel vorhanden waren und ständig aktiv sind.

Abbildung: Mehrere Systeme

Über die Gehirnsysteme hinaus existieren weitere neuronale Strukturen im Körper, wie das „Darm-Hirn“ oder das „Herz-Hirn“, die kontinuierlich miteinander interagieren.

»Analysieren bedeutet lernen, Unterschiedliches zusammenbringen bedeutet wachsen.«
Die Analyse untersucht ein Objekt, indem es gedanklich in immer kleinere Teile zerlegt wird. Sie fügt im Rahmen bestehendes Wissen dazu, so dass Systeme weiter lernen. Das Lernen bezieht sich dabei nur auf das untersuchte Objekt, darauf, wie es funktioniert. Auch wenn ein Wissenstransfer es möglich macht, Erkenntnisse auf andere Bereiche zu übertragen, wird die Innovation begrenzt bleiben, wenn die Lösungsmöglichkeit nur im analysierten Objekt ausgeschöpft wird. Auch integrale Ansätze bleiben dieser Begrenzung verhaftet, da das eine in das andere integriert wird und das Neue in seinen Grenzen bleibt.
Unterschiedliches zusammenbringen, das sich widerspricht, geht über Bestehendes hinaus. Es zwingt den Menschen, die bestehenden Grenzen des einen, aber auch des anderen zu verlassen und etwas Übergreifendes zu finden, das gleichzeitig beides enthält. Die Prüfung des Neuen auf Funktionalität im einen wie im anderen System bringt die erste Sicherheit. Der anschließende Transfer auf weitere Bereiche sichert immer weiter die Innovation, die über das Bestehende hinausgewachsen ist, ab.