»Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.«   Friedrich Nietzsche

Die stachelige Frau

Über die Dynamik zwischen Frau und Mann von Richard Graf

Bei der von Richard Graf verfassten Geschichte zu einer Choreografie für ein Ballett „Die stachelige Frau“ geht es um die Dynamik zwischen Mann und Frau zum Paradies. Der Weg dahin führt über viele Herausforderungen und schmerzhafte Prozesse. Ein wichtiger Bestandteil ist das Stacheln der Frau, das den Mann herausfordert, ihr den Halt zu geben, den sie braucht, damit er die Göttin in ihr erkennt und sie beide über sich hinauszuwachsen.

Die stachelige Frau: Bilder von Lea Gudrich

 

Die Dynamik der „stacheligen Frau“ ist bewusst aus Sicht des Männlichen dargestellt. Zum einen, weil das Männliche mehr das strukturelle Element in dieser Dynamik ist, und zum anderen, um gegen den aktuellen Trend zu polarisieren, der das Gelingen der Paarbeziehung erschwert.

Die zunehmende Vermännlichung des Weiblichen und die Verweiblichung des Männlichen löst nicht, unterstützt nicht, sondern erschwert den Weg zum Glück für beide.

Die Unterschiedlichkeit von Frau und Mann

Das Wir ist unterschiedlich und wenn wir diese Unterschiedlichkeit im Sinn der Liebe leben, so erreichen wir unser Mannsein und Frausein.

Was das Weibliche beitragen muss, damit die Paarbeziehung gelingt, erschließt sich im Verlauf. Eine Frau, die in Resonanz mit dem Göttlichen sich nicht angemessen verhält, ihre individuellen, systemischen und spirituellen Projektionen nicht löst und dem Manne anlastet, wird den Weg ins Paradies erschweren und möglicherweise verstellen.

Die Frau und der Mann haben die Chance, durch die Beziehung ihre Verletzungen und Verstrickungen zu lösen. Gelingt dies, werden Mann und Frau durch die Liebe in der Beziehung heile und ganz. In diesem Sinne macht der Mann die Frau zur Frau und die Frau den Mann zum Mann.

Es ist die Unterschiedlichkeit, die uns ins Paradies führt. Es handelt sich um einen zyklisch-evolutionären Prozess. Der Mann gibt der Frau den Halt, in dem sich die Weiblichkeit spiegelt und in diesem Spiegel erlebt und erfährt er sich als ganzer Mann.

Das Stacheln ist der Anteil der Frau an der Mann- und Frau-Werdung. Sie verursacht Schmerz, aber sie stachelt auch an.

Ein funktionales „Stacheln“ motiviert den Mann, der Frau auf souveräne Art den Halt, die Sicherheit und den Schutz zu geben. Diese Bewegung bestätigt gleichzeitig den Mann in seiner Männlichkeit. Mit dieser Männlichkeit kann er der Frau liebevoll die Grenzen setzen, die die Sicherheit erzeugt und gleichzeitig das „vergiftete Stacheln“ verhindert.

Ein Zuwenig an „Stacheln“ der Frauen lässt den Mann zum faulen, egoistischen Pascha werden, der sich von seiner Frau bedienen lässt. Die Frauen sind völlig überfordert und verlieren ihre Weiblichkeit und die Männer ihre Männlichkeit. Als Ergebnis bleibt die gegenseitige Verachtung.

Ein Zuviel an „Stacheln“ ist „vergiftetes Stacheln“. Dies schwächt oder zerstört den Mann. Die Frau erhält keinen Halt mehr und es kommt zu einer Spirale der Zerstörung.

Als Rettung wird oft die Distanz gewählt, die meist wieder das Stacheln der Frauen anfeuert.

Liebe ist

Die Liebe, das Wundervollste zwischen zwei Menschen, verbindet oder besser, eröffnet das, was zwischen Mann und Frau möglich ist. Liebe ist nicht herzustellen. Sie ist nicht verhandelbar. Manchmal ist sie schwer zu erspüren, zuweilen verstellt. Auch wenn die Liebe verschleiert ist, ahnen Mann und Frau, ob Liebe ist oder eben nicht. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Liebe, die sich langsam entfaltet, die Zeit braucht. Das ist etwas anderes. Sie ist bereits da, nur zeigt sie sich vorsichtig und langsam. Gewissheit gibt es oft erst später. Wenn Liebe ist, gibt es keine Wahl. Dem bereits Geschehenen zuzustimmen erfordert Mut und Demut zugleich.

Paarbeziehung wird

Eine bewusste Beziehung zwischen Mann und Frau beginnt damit, die Begriffe Liebe und Beziehung voneinander zu unterscheiden. Denn das, was wir gemeinsam leben, ist Beziehung. Das, was wir gemeinsam gestalten, ist Beziehung. Das ist, was Liebe gelingen lässt. Dazu gehören Mut und Beherztheit. Es gilt, Rituale zu lernen, zu entwickeln und so auszugestalten, dass sie Mann und Frau dabei unterstützen, das Richtige richtig zu tun. Die täglichen Rituale wirken auf die Liebe. Wie Mann und Frau miteinander umgehen, was sie tun, was sie unterlassen, erschafft den Raum für die Liebe. Die Beziehung kann, soll und muss manchmal verhandelt werden, damit die Liebe bleibt, sich weiter entfaltet und nicht etwa zurückzieht. Denn Liebe braucht Raum. Sie berührt und wird berührt.

Prolog – Frau / Mann

Was das Weibliche beitragen muss, damit die Beziehung zwischen Mann und Frau gelingt, unterscheidet sich naturgemäß vom Beitrag des Mannes. Auch wenn der Mann glaubt, seine Frau würde ihm ihre Probleme anlasten, spiegelt dies nicht die tatsächliche Dynamik wider.

 

Bild: Prolog Frau / Mann

 

Wie aber finden Mann und Frau ein ebenbürtiges Miteinander auf Augenhöhe, obwohl sie nicht gleich, sondern sehr unterschiedlich sind? Die Nähe geben Mann und Frau die Chance, ihre Verletzungen und Verstrickungen zu lösen. Gelingt dies, werden Mann und Frau durch die Liebe in der Paarbeziehung heil, ganz. In diesem Sinne macht die Frau den Mann zum Mann und der Mann die Frau zur Frau. Das Hineinwachsen in das Mannsein und Frausein ist unabdingbar für das Gelingen der Paarbeziehung. Dabei ist Ganzheit nicht die Voraussetzung, vielmehr ist sie das Ergebnis und zeigt das Gelingen der Beziehung. Der Mann gibt der Frau den Halt, in welchem sich die Weiblichkeit spiegelt und in diesem Spiegel erlebt und erfährt er sich als ganzer Mann. Der Mann schafft den Rahmen, die Struktur und die Stabilität, in dem die Frau den Halt erlebt, tanzen kann und die Fülle lebt. Es ist die Unterschiedlichkeit, die ins Paradies führt. Sie erzeugt die Spannung, in der sich in wechselseitiger Dynamik das Glück entwickelt.

Das Verliebtsein – die Faszination der Anziehung

Voller Liebe fühlen Mann und Frau in wortlosem Verstehen, was möglich ist. Die Frau fühlt sich in ihrer Weiblichkeit bestätigt, der Mann in seiner Männlichkeit. Sie erahnen den Raum, der zwischen ihnen entsteht und den sie in Hinwendung zum anderen Geschlecht füllen.

 

Bild: Das Verliebtsein – die Faszination der Anziehung

 

Der andere ist die Ergänzung, die das eigene Innere sucht. Zwischen ihnen entwickelt sich eine tiefe Emotionalität, die in der Sexualität ihren Ausdruck im Augenblick findet. Beide verschmelzen zu einem Paar, zu einem Wir. Beide sehen sich und fühlen sich gesehen im strahlenden Blick des anderen. Der Mann fühlt sich als Liebhaber bestätigt. Die Frau fühlt sich durch das Begehren des Mannes gewollt und gemeint. Die Seelen dürsten nach bedingungsloser Würdigung. Das Überschreiten der Intimitätsgrenzen wird für beide als aufregend und bindend empfunden.

Desillusionierung und Konfrontation mit der Andersartigkeit

Mit wachsendem Vertrauen zeigen beide allmählich Wünsche und Erwartungen, die dem anderen bis dahin unbekannt waren. Der Alltag und frühere Automatismen beginnen. Der Mann fühlt sich von der emotionalen Bedürftigkeit der Frau verschreckt und gefesselt.

 

Bild: Desillusionierung und Konfrontation mit der Andersartigkeit

 

Würde er nach innen blicken, sähe er dort die eigene Angst vor seiner Scham, nicht gut genug zu sein. Er löst sich aus ihren Armen wie ein Kämpfender aus den Schlingpflanzen, die ihn in die Tiefe ziehen wollen. Er ist enttäuscht. Die Frau bleibt verlassen und unerfüllt zurück, während er Wichtigerem nacheilt. Sie ist zutiefst enttäuscht. Es beginnt ein Kampf, um das, was fehlt. Die Erklärungen des Mannes empfindet die Frau als theoretisch, ohne Sinn. Die eigenen Qualitäten nimmt die Frau kaum mehr wahr, ihr eigener Wert schwindet. Das Paar trennt sich oder es arrangiert sich. Erinnern sich beide an die Entscheidung für die Liebe, die Mut und Demut erfordert, erkennt der Mann das Stacheln der Frau.

Die stachelige Frau

Die Frau treibt ihren Mann an, sie fordert ihn heraus, sie stachelt, sie will gesehen und gehalten werden. Sie ist sich sicher, dass dieser Mann sie halten kann und stachelt mehr und mehr. Sie will das Gehaltenwerden erleben. Sie will erfahren, wie sich Sicherheit und Halt anfühlen.

 

Bild: Die stachelige Frau

 

In Resonanz mit der Demütigung und dem Schmerz, den Frauen durch Männer erfahren haben, ist es für eine Frau manchmal schwer zu unterscheiden, welches Gefühl zu den geschundenen Frauen gehört und welches zu dem Mann, den diese Frau so sehr liebt. Sie will erspüren, dass ihr Mann es trotz des Stachelns und des Schmerzes anders macht als all die anderen Männer, die es nicht gut gemacht haben. Für den Mann ist dies sehr schmerzhaft, doch die Frau fühlt sich absolut im Recht. In gewisser Weise ist sie auch im Recht.

Sie prüft den Mann und möchte sicher sein, dass dieser Mann ihr standhalten und Halt geben kann. Ein Zurückweichen des Mannes wird von der Frau als tiefe Enttäuschung und Verletzung erfahren. Sie weiß, der Mann ist fähig, ihr Halt zu geben und hat das Gehaltenwerden und die Sicherheit bereits erfahren. Sie hat sich eingelassen und empfindet, als würde er das Erlebte und das Mögliche achtlos wegwerfen. Diese Ahnung macht die Frau wütend, und sie verletzt nun ihrerseits den Mann. Eine Trennung geht nun mit viel Leid und Verletzungen einher. Gelingt es aber dem Mann, zu ihr durchzudringen, hält er die Schmerzen aus, die ihre Stacheln verursachen, so macht ihn dies zum Mann. In seinem Halt erfährt die Frau sich als Frau. Gemeinsames Wachstum wird möglich.

Das Erkennen der Göttin in der eigenen Frau

Im Mann reift die Einsicht, dass es für ihn kein Glück ohne eine glückliche Frau gibt. Das stachelt jetzt ihn an, danach zu trachten, was die Frau braucht. Die Frau testet den Mann besonders auf seine emotionale Stabilität, indem sie das Stacheln forciert.

 

Bild: Das Erkennen der Göttin in der eigenen Frau

 

Das Stacheln ist ein Prozess, der auf gemeinsame Entwicklung zielt, bei dem die Frau das Muster bestimmt. Verliert die Frau dieses Ziel, verstellt sie den Weg ins Glück. Dann muss der Mann mit gereifter Männlichkeit der Frau liebevoll die Grenzen setzen, die Sicherheit entstehen lässt und gleichzeitig das vergiftende Stacheln verhindert. Die Erfahrung, dem Stacheln seiner Frau standhalten zu können, und von seiner Frau als einzigartig gesehen und anerkannt zu werden, lässt ihn trotz aller Verletzungen das Göttliche in seiner Frau erkennen. Dies ist ein Augenblick von unvergleichlicher Erhabenheit, ungeahnt und gleichzeitig vertraut. Trotz des Schwindens der eigenen Größe gelingt dem Mann die Entschleierung. Er verneigt sich vor der Göttin, dem Sinnbild des Weiblichen.

Die Schöpfung durch die Frau – das Neue

Gelingt es dem Mann, das Göttliche in der Frau zu verehren und gleichzeitig sich seiner selbst bewusst zu bleiben, entsteht Raum für das Neue. Nur wenn der Mann seine männlichen Konzepte völlig aufgibt und sich der Frau vertrauensvoll hingibt, kann sie die Paarbeziehung auf einer höheren Ebene neu erschaffen.

 

Bild: Die Schöpfung durch die Frau – das Neue

 

Er bleibt stets offen wahrzunehmen, was sie braucht. Dies ist ein schwieriger und komplexer Prozess, da beide ihre unbewussten Erwartungen loslassen und hinter sich lassen müssen. Erst wenn er das tut und sie bedingungslos nimmt, so wie sie ist, und sie bei Verfehlungen nicht kritisiert, sondern einfach nur liebt, wird sie erst wirklich zu seiner Göttin. Die Frau entdeckt sich neu in ihrer Weiblichkeit, der Mann in seiner Männlichkeit. Die Göttin tritt ans Licht, gespiegelt in dem Mann, der ihr dafür den Halt gibt. Die Frau erschafft für beide neue ungeahnte Möglichkeiten. Es öffnet sich ein Raum für Leidenschaft, Erfüllung und Glückseligkeit.

Der Bilderzyklus

Sechs Bilder von 200 cm mal 40 cm

»Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.«
Die Musik wie jede Form der Kunst ist ein Stimulus für das Emotionssystem. Der Stimulus aus der Kunst genügt den gleichen Wirkprozessen wie beliebige Stimuli aus der Wirklichkeit sowie internale Stimuli aus dem kohärenten Weltbild.
Bewertet das Emotionssystem den Stimulus, den die Kunst auslöste, als stimmig, erhält der Betrachter als Begleiteffekt ein angenehmes Gefühl. Bewertet die Emotionslogik den Stimulus als unstimmig, wird die Aktivierung der Kognition von einem unangenehmen Gefühl begleitet.
In die Bewertung des unbewusst wirkenden Emotionssystems fließen die neuronalen emotionalen Programme ein und als Folge empfinden erfahrene Betrachter erfahrungsgemäß etwas anderes als unerfahrene. Das erst anschließend erzeugte kohärente Weltbild divergiert konsequenterweise entsprechend stark. Die emotionale Erregung als Wirkfaktor lässt ein und derselben Person ein Musikstück einmal als angenehm und ein andermal als nervig erscheinen.
Durch den zyklisch-evolutionären Wirkprozess beeinflusst ein überwältigendes Kunstwerk alle Wirkfaktoren im Emotionssystem und Wagners Walkürenritt oder die Erinnerung an Leonardo da Vincis Fresken in der Sixtinischen Kapelle lassen die innerliche Sonne wieder aufgehen, genauso wie das Wiegenlied der Mutter, die das Baby beruhigt.
Somit ist jede Form der intellektuellen Auseinandersetzung mit Kunst genauso valide, wie die Berührung, die ohne Gedanken von ihr ausgeht.