a10 Leadership mit Mut und Demut

Werte sind maßgeblich daran beteiligt, wie wir wahrnehmen, bewerten und uns verhalten. Werte beschreiben erstmals ein Verhalten. Wenn jemand offen kommuniziert oder den Backlog und Protokolle sofort offen zugänglich macht, ist er offen. Es wird dann der Wert Offenheit oder Transparenz gelebt. Genauso, können wir sagen, eine mutige oder eine demütige Führungskraft verhält sich eher so oder so.

Werte sind handlungsleitend

Werte wie Mut und Demut sind handlungsleitend und das gilt nicht nur für Führungskräfte. Werte, Glaubenssysteme, Überzeugungen sowie Mindset sind bewusste Oberflächenstrukturen, die für Menschen und Gemeinschaften bedeutend sind.

Ob Werte sich nun individuell, kollektiv, historisch, kulturell und gesellschaftlich entwickeln, ist für diesen Diskurs nicht entscheidend. Sie werden gerne metaphorisch als innerer Kompass ausgedrückt, der Menschen eine Orientierung ermöglicht, unser eigenes Handeln und das von anderen Menschen einzuschätzen und zu bewerten. Dies ist nicht weiter verwunderlich, weil einem Verhalten immer eine Bewertung vorausgeht.

Werte sind dem Bewussten meist nicht zugänglich und sind ein maßgeblicher Einflussfaktor bei Bewertungen, Erinnerungen und damit bei Entscheidungen und Handlungen.

Abbildung01: Werte sind handlungsleitend

Auch wenn uns der Begriff Wertewandel erkennen lässt, dass Werte sich verändern, so werden sie als Individuum doch als robust erlebt und ein Verstoß gegen sie bringt bei den betroffenen Menschen etwas in Bewegung.

Brauchen Führungskräfte mehr Demut und weniger Mut?

Diese beiden Werte im Zusammenhang mit Führung aus dem Blick der K-i-E Emotionstheorie zu betrachten, lohnt. Auch wenn Werte mehr als eine emotional bewertende und bewegende Seite haben, so fördert diese Sicht einen doch interessanten Aspekt zutage, der in der Führungskultur umgesetzt werden kann.

In der Wertediskussion bekommt Mut neben Offenheit, Transparenz im Vorgehen, Verantwortung, Einfachheit, Klarheit und Entscheidungskompetenz mehr und mehr Bedeutung.

Es klingt irgendwie stimmig zu fordern, dass Führungskräfte, insbesondere von Männern sich ändern sollten. Zweifelsfrei erfordern die gegenwärtigen Herausforderungen gute Entscheidungen und eine gemeinsam getragene Umsetzung, um diese zu meistern.

Abbildung02: Sichere und gute Entscheidungen

Die Frage ist, wie weit die Begriffe Mut und Demut bei dieser Diskussion helfen, Führung besser zu machen. Mut taucht in den Diskussionen mehr und mehr auf und ist wohl eher geeignet, heute Akzeptanz im Führungsverhalten zu finden.

Demut

Der Begriff Demut klingt altmodisch, ist jedoch in seiner individuellen, situationsspezifischen und allgemeinen Bedeutung vielfältig, polarisierend, missverständlich bis kontaminiert. Die Demut reicht von der souveränen Gelassenheit und dem Respekt, Themen eine angemessene Zeit und Beteiligung einzuräumen, über Unveränderliches zu akzeptieren, um Raum für mögliche Veränderung zu schaffen bis hin zu devotem unterwürfigem Verhalten. Die Gender-Diskussion mit einer einseitigen Zuordnung der Demut zum Weiblichen lässt wenig Raum für eine offene und klare Betrachtung des Themas.

Es reicht auch nicht aus, nur eine Veränderung des Führungsverhaltens zu fordern, ohne einen Weg zur Veränderung und Entwicklung zu beschreiben, der mit vernünftigem Aufwand umzusetzen ist. Kompetente souveräne Entscheidungsstrategien, die in Klarheit und Entschlossenheit münden, sind von allen Führungskräften gleichermaßen zu erlernen und herzustellen.

Emotionen und Werte

Emotionen initiieren eine Bewegung. So bewegt die Emotion Angst mit dem emotionalen Motiv Sorge um Sicherheit, indem sie achtsam macht. Bei der Steuerung in die Achtsamkeit gibt es einen funktionalen Bereich „angemessen“ und jeweils zwei dysfunktionale mit „zu wenig“ und „zu viel“.

Abbildung: Grundstruktur der Emotion Angst

Ein Zuwenig an Angst, der Leichtsinn, führt zum Tod. Beim leichtsinnigen Überqueren der Straße werden wir früher oder später überfahren. Ein Zuviel an Angst führt zur Panik oder Starre. Die Starre hindert uns, die Straße zu überqueren und die Panik führt früher oder später ebenfalls zum Tod. Ein funktionales Maß der Angst und damit aktivierter Achtsamkeit lässt uns die Straße sicher überqueren.

Ärger macht uns kraftvoll, um Einfluss zu nehmen. Ein angemessenes Maß an Ärger macht kraftvoll für die nächste Handlung, die man beeinflussen möchte. Ein Zuviel führt zu unkontrolliertem Handeln und ein Zuwenig lässt uns antriebslos scheitern.

Abbildung: Grundstruktur Emotion Ärger

Emotionssequenz und zusammengesetzte Emotionen

Auch wenn diese Betrachtung der Emotionen Angst und Ärger nicht vollständig ist, so beleuchtet sie doch wesentliche Einblicke und führt zu einer Auflösung der polarisierenden Diskussion von Mut und Demut. Im Verhalten mit Mut und Demut wirken alle Grundemotionen Angst, Ekel, Ärger, Trauer, Freude, Schuld und Scham.

Abbildung05 – Emotionssequenz Mut und Demut

Die Betrachtung der vielfältigen Erscheinungen der beiden Emotionen Angst und Ärger soll ebenfalls nicht tiefer geführt werden, um einen ersten klaren Blick bezüglich des Führungsverhaltens zu erhalten. Die neuronalen emotionalen Strukturen (neP), die durch Erfahrungen geprägt wurden, sind das veränderbare und bewusst überformbare Rüstzeug jeder Führungskraft. Die emotionale Disposition, die alle Grundemotionen in funktionale und dysfunktionale Bereiche bewegt, beschreibt erst das tatsächliche Führungsverhalten von Führungskräften unabhängig vom Geschlecht, Kultur und Diversität.

Abbildung6 – Gebildete neuronale emotionale Strukturen

Führungsverhalten

Es ist verführerisch, ein bestimmtes Verhalten Führungskräften zuzuordnen und dies auf Ursachen wie das Geschlecht, die Kultur oder Herkunftsfamilie zurückzuführen.

Wenn nun Männer oder Frauen ein bestimmtes Verhalten zeigen, weil es durch die aktuelle Situation, die vorherrschenden Bedingungen, die Beziehung, das Leitbild, die Tradition, die Kultur, die Gesetzgebung, die Gesellschaft oder was auch immer gefördert oder erzwungen wird, so machen Männer und Frauen in diesem Verhalten Erfahrungen, die als neuronale emotionalen Strukturen im Erfahrungsgedächtnis repräsentiert sind. In jeder Gesellschaft, in jedem Unternehmen, in einer Beziehung, in einer Familie oder in bestimmten Situationen machen Menschen Erfahrungen, die zu entsprechenden neurologischen emotionalen Strukturen führt.

Das bedeutet zum einen, dass dieses Verhalten durch das Emotionssystem als Teil der Entscheidungen immer präsent ist, zwar dem Bewussten nicht zugänglich, aber immer ein Teil der handlungsleitenden inneren Prozesse, die einer Entscheidung und Handlung vorausgehen.

Ebenso können jedoch Führungskräfte, unabhängig von individuellen neuronalen emotionalen Strukturen, eine bewusste kognitive Entscheidung fällen. Dieser Freiheitsgrad besteht immer, in jedem Augenblick unseres Seins.

Der Freiheitsgrad ist fragil

Dieser Freiheitsgrad wird jedoch vom der emotionalen Erregung beeinflusst und bei höherer Erregung von ihr dominiert und irgendwann beherrscht. Zusätzlich gilt durch die Neuroplastizität, dass Führungskräfte durch ihre Erfahrungen als Individuum ihr eigenes Emotionssystem konditionieren, was wiederum die oben beschriebenen Dimensionen wie Beziehung, Familie, Tradition, Gesetzgebung, Kultur und Gesellschaft beeinflusst. Ab einem gewissen Einfluss gestalten Führungskräfte in zyklisch-evolutionärer Dynamik ihre Umgebung und werden dadurch wieder selbst beeinflusst. Die Führungskraft beeinflusst das Team und das Team die Führungskraft.

Wichtiger jedoch für Führungskräfte ist im ersten Schritt ein bewusstes Verständnis für den Einfluss der Emotionen auf die Bewertungen und Entscheidungen und damit auf das Führungsverhalten. Das bewusste Verständnis erlaubt eine angemessene Regulierung und damit die Einflussnahme auf ein angemessenes Entscheidungsverhalten.

Abbildung07 – Regulierung der emotionalen Erregung

Damit ist noch nicht die Frage beantwortet, wie werden Führungskräfte in ihrem Entscheidungsverhalten flexibel, um mit Mut oder Demut zu führen? Wie gelingt es, jenseits von polarisierenden, ablenkenden und vermeidenden Diskussionen, eine Beschreibung und Betrachtung zu gewinnen, die es erlaubt, Führungsverhalten bewusst zu gestalten.

Die Klarheit und Entscheidungsfähigkeit wachsen, wenn es gelingt, eine Ebene tiefer auf die Grundemotionen im Verhalten zu schauen, ohne sich in Zuordnung von Geschlecht, Kultur und sonstigen Kategorien zu verlieren.

Führen mit Mut

Die reduzierte Betrachtung von Angst und Ärger liefert wertvolle Einblicke, ohne die Komplexität berücksichtigen zu müssen.

Beim mutigen Verhalten – abzugrenzen vom Heldenmut, der den Tod herausfordert – sind aus Sicht der K-i-E Emotionstheorie Angst und Ärger noch im funktionalen Bereich. Mut bedeutet hohe bis maximal funktionale Einflussnahme durch die Emotion Ärger (6) bis (7). Dies ist nicht zu verwechseln mit Aktionismus oder Profilierung. Die Einflussnahme liegt im Bereich des souveränen und entschlossenen Entscheidens und Handelns.

Mut bedeutet gleichzeitig eine minimale bis geringe funktionale Sorge um Sicherheit durch die Emotion Angst bei (4) bis (5). Ebenfalls nicht zu verwechseln mit unüberlegtem und leichtsinnigem Entscheiden und Handeln. Es wird das berücksichtigt, was zur Wahrung der Sicherheit notwendig ist, aber nicht mehr, um in die Entschlossenheit zu kommen – Mut als Ausdruck und Wert für souveränes entschlossenes Entscheiden und Handeln.

Abbildung08 – Führen mit Mut

Das Risiko beim Mut ist die gleichzeitige Unterschreitung der Sorge um die Sicherheit und die Überschreitung der Einflussnahme. Wird die Sorge um die Sicherheit (Angst) unterschritten, gerät man in den dysfunktionalen Bereich (1) bis (3), den Leichtsinn.

Das ist die klassische Beschreibung, wenn Führungskräfte autoritäre und ohne Rücksicht Entscheidungen fällen, die zum Schaden aller führen. Überlegtes Entscheiden würde jedoch bedeuten, kognitiv und bewusst zu agieren und beides im funktionalen Bereich zu halten. Entscheidend und damit der Kern des Führungsverhaltens ist ein Zusammenwirken des Emotionssystems und des Kognitionssystems.

Ein Zugang zu diesem Thema ist möglich, wenn man das Zusammenwirken dieser beiden sehr unterschiedlichen Entscheidungssysteme in den Blick nimmt. Die Angst im funktionalen Bereich forciert das Kognitionssystem nicht und so kommt es zu unüberlegtem Entscheiden und Handeln. Gepaart mit zu hoher Einflussnahme birgt dies hohe Gefahr.

Abbildung09 – Das Risiko bei Mut

Beide Emotionen, Angst (-1) und Ärger (+1), kommen schnell in den dysfunktionalen Bereich. Wird die Einflussnahme (Ärger) forciert, kommen Führungskräfte in den unkontrollierten Bereich. Dieser wird fatalerweise nicht gebremst, da der Ärger in der Emotionssequenz nach der Angst liegt und die Angst vorher nicht hoch genug war, um eine kognitive Entscheidung zu forcieren. Die Einflussnahme des Kognitionssystems wird nicht genutzt, um das Ergebnis des Emotionssystems zu einer überlegten Entscheidung zu korrigieren und zu überformen.

Abbildung10 – Kognitionssystem wird nicht aktiviert

Die Dynamik der Untrennbarkeit zwischen Emotionen, Intuition und Kognition führt dazu, dass die Einflussnahme (Ärger) bei Reduzierung der Angst größer wird und dadurch gleichzeitig in den dysfunktionalen Bereich (8) bis (10) rutscht. Hier verstärkt sich der Effekt des Leichtsinns und der unkontrollierten Einflussnahme. Dieses Verhalten wird gerne in polarisierenden Diskussionen mit Mut verwechselt. Dafür wäre „dummer“ oder „blinder“ Mut eine bessere Bezeichnung, also unkontrollierte Einflussnahme bei zu geringer Sorge um Sicherheit und gleichzeitig abwesender Kognition.

Abbildung11 – Führen mit blindem Mut, außer Kontrolle

Damit ist die Gefahr für unkontrolliertes Verhalten und eine unüberlegte, aber kraftvolle Entscheidung hoch. Erschwerend kommt die häufig fatale Wirkung auf andere dazu. Man kann konstatieren, dass Mut eine Entscheidung forciert, aber ein hohes Risiko durch die Wirkung auf Entscheidungen bei Unterschreiten der Angst und Überschreiten des Ärgers aufweist.

Eine Lösung bestünde in der Einbindung der Gruppen-Kompetenz, was jedoch solide Entscheidungsprozesse erfordert, damit gemeinsam getragene Entscheidungen auch zeitnah hergestellt werden können.

Führen mit Demut

Eine Betrachtung der Demut mit den beiden Grundemotionen aus der K-I-E Emotionstheorie Angst und Ärger zeigt Offensichtliches. Auch Demut bewegt aus Sicht der K-i-E Emotionstheorie mit Angst und Ärger im funktionalen Bereich. Demut bedeutet eine niedrige funktionale Einflussnahme durch die Emotion Ärger (4) bis (5). Nicht zu verwechseln mit Passivität oder Devotion. Die Einflussnahme ist sanft, aber klar, um eine klare Entscheidung zu erreichen.

Demut bedeutet moderate bis hohe funktionale Sorge um Sicherheit durch die Emotion Angst (5) bis (7). Ebenfalls nicht zu verwechseln mit Ängstlichkeit und Bedenkenträgertum. Dieses Level an Angst forciert mit der Kognition die Fähigkeit, sichere und nachhaltige Entscheidungen überlegt zu treffen.

Abbildung: Führen mit Demut

Das Risiko bei Demut ist die Unterschreitung der Einflussnahme und weniger die Überschreitung der Angst, weil sie bei Unter- und Überschreitung im funktionalen Bereich bleibt. Wird die Einflussnahme unterschritten, gerät man in den dysfunktionalen Bereich (1) bis (3) und wird antrieblos. Die stetige Berücksichtigung der Sicherheit und die Vermeidung unkontrollierter Einflussnahme zeigt Demut als funktionale robusten Führungsstil.

Bei Überschreitung der Sorge um Sicherheit durch die Angst würde man in den dysfunktionalen Bereich der Starre geraten und die Einflussnahme blockieren. Diese Bewegungen führen dazu, dass die Führungskraft schwach wird oder nicht mehr entscheidet.

Abbildung: Führen mit Demut ist robuster

Eine ausstehende Entscheidung wird häufig als weniger kritisch erachtet. Auf Dauer wird eine zweitbeste begründbare Entscheidung getroffen oder ein anderer oft beliebiger Entscheider setzt sich durch, der mit einer hohen Sorge um Sicherheit beeinflusst.

Die Dynamik der Untrennbarkeit zwischen Emotionen, Intuition und Kognition ist bei der Führung mit Demut nicht gegeben. Durch die aktivierte Angst mit Sorge um Sicherheit bleibt das Kognitionssystem aktiviert und es wird keine unkontrollierte Einflussnahme zugelassen.

Man kann konstatieren, dass das Führungsverhalten, das mit Demut umschrieben werden kann, unter Berücksichtigung der Untrennbarkeit von Emotionen, Intuition und Kognition zu einer klaren und sicheren Entscheidung führt und nur ein geringes Risiko für fehlende oder wenig eigenbestimmte Entscheidungen birgt.

Zusammenfassung Mut und Demut

Zusammenfassend kann man festhalten, dass Mut und Demut eine wenig förderliche Polarität in Diskussionen auslösen, jedoch aus Sicht der K-i-E Emotionstheorie emotionale Bewegungen aufzeigen, um zu guten Entscheidungen zu kommen.

Beide bergen jedoch unterschiedliche Risiken mit jeweils unterschiedlicher Auswirkung und Risiko. Führen mit Mut birgt ein hohes Risiko zum blinden Mut mit leichtsinnigen und unkontrollierten Entscheidungen, die fatalerweise kraftvoll durchgesetzt werden.
Die Robustheit der Führung zeigt sich, wenn alle Verschiebungen bei beiden Emotionen betrachtet werden. Bei Demut bleiben drei Bewegungen im funktionalen und eine gerät in den dysfunktionalen Bereich, wobei bei Mut nur zwei im funktionalen Bereich bleiben und 2 in den dysfunktionalen Bereich rutschen.

Eine offensichtliche kritische Wirkung der Untrennbarkeit von Emotionen, Intuition und Kognition kommt hier zum Tragen. Beim Führen mit Mut wird liegt die Sorge um Sicherheit im Emotionssystem im funktionalen Bereich, weshalb die Kognition nicht aktiviert wird, um bewusst achtsam zu werden.

Der archaische Mechanismus der Untrennbarkeit hat hier fatale Auswirkungen und erklärt gleichermaßen, warum in dieser Situation die Verlustaversion nicht wirksam wird. Die Mechanismen zwischen Emotions- und Kognitionssystem sind mit einfachen linearen Kausalitäten nicht abzubilden.

Abbildung14 – Führen mit Demut ist robuster als mit Mut

Die Robustheit der Führung mit Demut wird bei höherer emotionaler Erregung deutlich. Führung mit Mut gerät in die unkontrollierte Einflussnahme und die Kognition wird nicht mehr aktiviert, weil die Sorge um Sicherheit immer noch im funktionalen Bereich ist.

Führung mit Demut führt bei hoher emotionaler Erregung zu dysfunktionaler, jedoch hoher Achtsamkeit, die nicht entscheidet. Die dysfunktionale Angst aktiviert das Kognitionssystem und eine bewusste und überlegte Einflussnahme bleibt erhalten. Führen mit Demut bleibt bewusst, während Führen mit Mut ins blinde unkontrollierte abrutscht.

Abbildung15 – Führen mit Demut bleibt bewusst

Das Fazit ist offensichtlich, Mut ist ein fragiler Führungsstil, der bei steigender emotionaler Erregung zu kritischen und fatalen Entscheidungen führen kann. Insbesondere kontrolliert die Angst nicht mehr als natürliches Regulation den Ärger und vor allem wird die Kognition nicht mehr für eine überlegte Entscheidung aktiviert.

Führen mit Demut zeigt sich als der robustere und bewusste Führungsstil. Beide haben jedoch Schwächen, die für eine souveräne Führung ausgeglichen werden sollten.

Wie in der Einführung ausgeführt, sind Werte sehr robuste Bewertungs- und Verhaltensmechanismen, die auf Grundemotionen beruhen. Die Abbildung auf Emotionen erklärt ihre Handlungsrelevanz und den starken Einfluss auf Entscheidungen. Da Werte auf Emotionen basieren, sind sie dem Bewussten nicht beziehungsweise nur schwerlich in der Entscheidungssituation zugänglich.

Bewusste souveräne Führung 

Eine kompetente und souveräne Entscheidung verringert die Risiken in hohem Maße bei gleichzeitigem weitgehendem Erhalt der Begünstigung einer Entscheidung. Dafür müssen die Basisemotionen Angst und Ärger in den funktionalen Bereich bewegt werden. Das hohe Risiko durch eine unüberlegte Entscheidung bei geringer Sorge, gerade dann, wenn sie mit unkontrollierter Einflussnahme gepaart ist, muss unbedingt vermieden werden.

Die Sorge um Sicherheit sollte in den funktionalen Bereich aktiviert und die zu starke Einflussnahme herunterreguliert werden, damit beim Führen mit Mut eine bewusste überlegte Entscheidung möglich wird.

Abbildung16 – Bewusste souveräne Führung

Führen mit Demut benötigt nur die Aktivierung der Einflussnahme. Die Vermeidung des Risikos und der Erhalt bewusst überlegter Einflussnahme kann mit Achtsamkeit erreicht werden. Bei Führen mit Angst aktiviert und zugleich Ärger reduziert werden.

Abbildung17 – Regulierung in die Achtsamkeit bei Demut und Mut

Dabei ist es letztendlich wenig relevant, ob die Führungskraft mehr Mut oder Demut hat. Es ist eher davon abhängig, wieweit die Führungskraft die Grundemotionen Angst und Ärger bewusst reguliert und so souverän führt. Aus Sicht der Emotionstheorie wäre die präzisere Formulierung: Führungskräfte sollten wissen, wie stark oder schwach die emotionalen Motive in der Entscheidungssituation sind, und sie sollten über die Fähigkeit verfügen, sich gegebenenfalls mit Achtsamkeitsübungen in den funktionalen Bereich zu regulieren. Es ist offensichtlich, dass Führung mit Mut einen höheren Regulierungsaufwand erfordert und wegen des nicht aktivierten Kognitionssystems wenig Einsicht vorhanden ist. Leider herrscht allzu häufig genau diese Führungssituation in Unternehmen vor.

Durch Regulierung der jeweiligen Emotion in den gewünschten funktionalen Bereich werden kompetente souveräne Entscheidungen möglich. Dies erfordert nur geringe bis moderate Bewegungen bei den betrachteten Emotionen zur Entscheidungsfindung.

Die Emotionsregulierung ist mit entsprechendem Training ohne große Mühe zu erlernen. Für diese Betrachtung ist es wenig relevant, ob die Führungskraft mehr Mut oder Demut hat oder aus welcher Kultur sie kommt.

Führung mit Entscheidungsprozessen

Wirklich gute Entscheidungen entstehen erst durch eine gelungene Umsetzung. Souveräne Führungskräfte wissen, eine gute Umsetzung liegt nicht allein in ihrem Einfluss. Zweifelsfrei haben gute Entscheidungen einen wesentlichen Anteil am Gelingen, jedoch ist es für Führungskräfte zuweilen ein schwieriges Unterfangen, Verantwortung für etwas zu tragen, das nicht allein unter ihrer Kontrolle liegt und unter ihrem Einfluss.

Gemeinsam getragene Entscheidungen lassen die Verantwortung für den Prozess da, wo sie hingehört, bei der Führungskraft. Den Entscheidungsprozess bereits Richtung Umsetzung auszudehnen und die Beteiligten einzubeziehen, unterliegt dem Einfluss der Führungskraft.

Abbildung18 – Empowerment aller Beteiligten

Führen mit Entscheidungsprozessen (Integrativer Führungsstil), die gemeinsam getragene Entscheidungen herstellen, bewältigen die aufgezeigten Probleme und Risiken souverän. Die Entscheidung ist nicht mehr allein von Mut oder Demut der Führungskraft abhängig.

Die Team-Kompetenz und bewusste Durchführung der Entscheidungsprozesse bringt die Emotionen selbst-organisiert und selbst-reguliert in die funktionalen Bereiche. So bleibt die Verantwortung bei der Führungskraft, und ihr Einfluss zielt auf das Gelingen und der Entwicklung aller, damit es gut ausgeht. Entscheidungskompetenz wird bei allen Beteiligten gemeinsam entwickelt.

Entscheidungskultur

Durch die Neuroplastizität unserer Gehirnsysteme sind Führungskräfte und alle Beteiligten in der Lage, die durch gelungene Aktionen gemachten Erfahrungen im emotionalen Erfahrungsgedächtnis dauerhaft zu verankern. Dies gelingt am nachhaltigsten durch Entscheidungsprozesse, die sicher Entscheidungen herstellen.

Der natürliche Weg dahin ist eine mehrfach wiederholte gelungene Regulierung und die Anwendung von Entscheidungsprozessen, die zu einer dauerhaften Verankerung – Bildung stabiler neuronaler emotionaler Strukturen – im emotionalen Erfahrungsgedächtnis führen.

Abbildung19 – Dauerhafte Verankerung funktionaler Emotionssequenzen

Als Begleiteffekt entwickelt sich bei der Führungskraft und den Team-Mitgliedern das neuronale emotionale Rüstzeug. In Verbindung mit den Entscheidungsprozessen entstehen Selbstorganisation und Ownership von alleine.

Januar 2019, Richard Graf in Kooperation mit Laura Graf