s316 Nocebo-Effekte, Plädoyer für eine wohlgeformte Kommunikation

„Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“ Marcus Aurelius

Wenn Medizin und Ärzte krank machen – läuft etwas falsch. Sensorische Stimuli, wie die Warnung auf dem Beipackzettel, visuelle Darstellungen von Krankheitsbildern, Risikohinweise zur eigenen Absicherung sowie gut gemeinte Abschreckungen, lösen emotiv-kognitive Zyklen aus, die Menschen krank machen. Das was „falsch“ läuft, wird von Ärzten, Pharmaunternehmen und Werbung erzeugt.

Das Verhalten und die Interaktionen widersprechen dem antiken Grundsatz, dass der Arzt vor allem nicht schaden darf. Die Interaktion mit Patienten löst zwangsläufig innere krankmachende Zyklen aus, die vor allem dem ohnehin ängstlichen Patienten Schaden zufügen können. Bekannt geworden ist dieses Phänomen unter dem Begriff Nocebo.

Die sensorischen Stimuli erzeugen innere Wirkprozesse, denen der Patient eine belastende oder auch heilenden Bedeutung gibt. So sind die Stimuli der Auslöser für die emotiv-kognitiven Zyklen, die als Placebo- sowie als Nocebo-Effekt wirken, nicht die wohlgemeinten Suggestionen und Warnhinweise.

In diesem Prozess kann das Zusammenwirken der spezifischen Konstruktion des Stimulus (durch verbale, visuelle und weitere nonverbale Faktoren) mit einer emotionalen Disposition (ängstlichen Patienten) in bestimmten Situationen eine besonders gefährliche Dynamik entstehen lassen, die schließlich in einem Nocebo-Effekt mündet – ohne dass dieser durch die eigentlich wohlmeinenden Akteure intendiert war.

Mehr im Beitrag „Nocebo-Effekte, Plädoyer für eine wohlgeformte Kommunikation“ auf Seite 14 im Magazin GZM Systemische Orale Medizin.

Wohlgeformte Kommunikation als Lösungsmöglichkeit

Trotz der Komplexität des zyklischen Wirkprinzips und der subjektiven Verarbeitung von inneren und äußeren Stimuli, sind wirksame Interventionen möglich.

KiE: Emotiv-kognitive Zyklen beim Nocebo-Effekt
Abbildung 01: Emotiv-kognitive Zyklen beim Nocebo-Effekt

Wichtig ist dabei, zu unterscheiden, was der Patient selbst-organisiert und selbst-wirksam tun kann und was Ärzte sowie Therapeuten, Pharmaunternehmen und Werbung. Sie sind aufgefordert Stimuli zu vermeiden, damit die belastenden emotiv-kognitiven Zyklen erst gar nicht initiiert werden. Patienten sollten befähigt werden sie zu regulieren, um belastende innere Zyklen zu beenden, beziehungsweise in heilende umzuformen. Ein Entweder-Oder würde das Ziel verfehlen.

In einem ersten Schritt jedoch brauchen sowohl die Patienten als auch Ärzte und Therapeuten ein solides Wissen über die zyklisch-evolutionären Wirkprinzipien. Auf der Grundlage eines solchen Wissens können dann Belastungen und die negative Dynamik frühzeitig erkannt werden. Achtsamkeitstechniken eignen sich gleichermaßen für die Erkennung der Wirkprozesse, wie sie auch für die Regulierung verwendet werden können. Mit dem Wissen über die Wirkprinzipien kann gezielt an riskanten Stellen interveniert werden, sodass eine sofortige Erleichterung, ein Stoppen des negativen Effekts oder sogar die Umkehrung bewirkt werden kann. Im zweiten Schritt können Patienten sowie Ärzte und Therapeuten mit wirksamen Interventionen versorgt werden.

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Juli 2020, Richard Graf und Elsa Graf

Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“ Marcus Aurelius

Quellen

Graf, Richard: Die neue Entscheidungskultur: mit gemeinsam getragenen Entscheidungen zum Erfolg. Carl Hanser Verlag GmbH Co KG, 2018

Graf, R. & Schröder, H. (2020). Nocebo-Effekte, Ein Plädoyer für eine wohlgeformte Kommunikation. Systemische orale Medizin (GZM), 9(2), 14-19.

Hahn, R (1997). The Nocebo Phenomenon: concept, evidence and implication for public health. In: Preventive Medicine; 26:607-611.

Schmidt, G. B. (2013) Bewusstseinsmedizin: Psychogene Heilung durch Vorstellungskraft. In Suggestionen: Forum der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie; 6-40.

Schröder, H. & Rothe, M. (Hg.). (2008). Stil, Stilbruch, Tabu, Stilerfahrung nach der Rhetorik. Eine Bilanz. (Semiotik der Kultur – Semiotics of Culture, Band 7). Münster: LIT-Verlag.