l089 Emotiv-kognitive Gedankenzyklen

KiE-DecisionMaking ist am menschlichen Entscheidungsprozess ausgerichtet. Die emotiv-kognitiven Zyklen sind so in den Prozess integriert.

Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen Wahrnehmen, Denken, Erinnern, Entscheiden und einiges mehr. Gefühle, und zeitlich vorher gesehen auch Emotionen, haben Einfluss auf Entscheidungen. Daran zweifeln nur noch jene, die die Wissenschaft ablehnen als auch den gesunden Menschenverstand. Darüber, wie weit der Einfluss geht, streiten sich die Geister, Experten und auch jedermann.

Menschliches Verhalten, ausgelöst von Emotionen, bewegt Menschen seit Jahrtausenden. Vieles ist mit dem Verstand nicht zu fassen und wurde als „irrational“ stigmatisiert. Das Unerklärliche wurde so zu irrationalen Reaktionen, Argumenten oder Ängsten. Selbst die Mathematik, die eher der kognitiven Zunft mit rationalen Konzepten zuzuordnen ist, bediente sich des Begriffs und ordnete die nicht zu bändigenden Zahlen als „irrationale“ Zahlen ein.

Kognitiver Zyklus – den es in dieser Form nicht gibt

Unser Kognitionssystem nimmt bewusst wahr und wird meist im Neokortex verortet. Ihm werden die Wahrnehmung und weitere großartige Fähigkeiten zugeordnet wie Entscheiden, Aufmerksamkeit, Lernen, die Erinnerung, die Kreativität, das Planen, die Imagination, die Argumentation, die Introspektion, der Wille, das Glauben und einige mehr.

Die gängige Vorstellung und nach wie vor Lehrmeinung geht von einer kognitiven Sequenz aus: wahrnehmen, bewerten und dann handeln.

Abbildung: Kognitive Wahrnehmung und Bewertung

Wir treten auf einen Zweig und alle sensorischen Informationen verdichten sich, bis man eine Schlange erkennt, die als gefährlich bewertet wird, um anschließend schreiend wegzuspringen. Zeitlich später erkennen wir den Zweig und erkennen dann, wir haben uns getäuscht. Die Lehrbücher haben uns die Geschichte erzählt, es wäre evolutionär sinnvoller, vor einer „vermeintlichen“ Schlange wegzuspringen, als zu warten, bis man sich auch ganz sicher sei, dass es eine Schlage ist.

Bereits 1884 zweifelte Williams James und unabhängig davon 1885 Carl Lange diese Sequenz an. Übrig aus dieser Zeit blieb William James‘ Bear: „Laufen wir vor dem Bären weg, weil wir Angst haben, oder haben wir Angst, weil wir davonlaufen?“

Emotiver Zyklus

Die Wirklichkeit erzählt eine andere Geschichte, was viele Wissenschaftler nachgewiesen haben wie Benjamin Libet, Joseph LeDoux, António Rosa Damásio sowie Joachim Bauer. Diese Geschichte klingt jedoch unglaublich und scheint schwer zu fassen.

Abbildung – Emotiver Zyklus

Wir sind bereits vor etwas (einem Zweig) schreiend weggesprungen, was wir bewusst noch nicht wahrgenommen haben. Der visuelle Wahrnehmungsprozess dauert gut eine halbe Sekunde (550 ms). Die ersten Bewegungen, wie die Verengung der Retina, beginnen bereits nach 80 Millisekunden und ein 100-Meter-Sprinter beginnt bereits zu laufen, bevor er den Schuss hört.

Die „emotive“ Bewegung wurde bereits initiiert, bevor die kognitiven Prozesse wie Sehen oder Hören abgeschlossen sind und auch bevor wir in der Folge bewerten konnten, ob es gefährlich sein könnte. James‘ Zweifel waren berechtigt, seine Annahme, wir würden laufen und dann Angst bekommen, kommt den Geschehnissen nahe.

Wir „fällen“ so etwas wie eine „emotive“ Entscheidung und initiieren eine „emotive“ Bewegung (schreien und springen), weil die kognitive Wahrnehmung als Voraussetzung für eine kognitive Entscheidung und Bewertung noch nicht abgeschlossen ist.

Wir haben den Bären oder die Schlange noch nicht kognitiv wahrgenommen, folglich konnten wir auch nicht kognitiv erkennen, dass der Bär oder die Schlange gefährlich sind. Wir sollten uns jetzt wirklich von der Denkweise verabschieden, dass unsere Handlungen und Entscheidungen rational beziehungsweise irrational sind, sie sind emotiv-kognitiv.

Emotiv-kognitiver Zyklus

Nach einer Weile sind die kognitiven Prozesse abgeschlossen, der Zweig wird erkannt. Die emotive Bewegung ist bereits initiiert beziehungsweise geschehen (schreien und springen).

Abbildung: Emotiv-kognitiver Zyklus

Menschen verfügen über ein Emotions- und ein Kognitionssystem. Beide arbeiten parallel sowie weitgehend autonom und kommen zu verschiedenen Zeitpunkten zu unterschiedlichen Entscheidungen und Bewegungen.

Mit ein und demselben Stimulus (akustische Welle des brechenden Zweiges und seine Farbpigmentierung) initiiert das schnellere Emotionssystem mit der Logik der Emotionen, die dem Bewussten nicht zugänglich sind, eine „Bewegung“. Nachfolgend wird der Zweig kognitiv wahrgenommen. Bisher ist noch keine Schlange im Spiel, obwohl wir bereits schreiend weggesprungen sind.

Der erste emotiv-kognitive Zyklus ist die parallele Verarbeitung im Emotions- und Kognitionssystem. Weitaus spannender und kritischer werden die nächsten emotiv-kognitiven Zyklen, die Gedankenzyklen.

Die KiE-Trilogie

Wir sind schreiend weggesprungen, obwohl wir nur auf einen Zweig getreten sind. Aus dem zwangsläufig entstandenen Widerspruch, zumindest kognitiv betrachtet, muss nun eine Lösung geformt werden.

Als Lösung wird erst jetzt die Schlange als kognitives Objekt kreiert, dass aus der bereits vorher wirkenden Angst initiiert wurde: „Weil ich den Zweig mit einer Schlange verwechselt habe, bin ich schreiend weggesprungen.“

Die Untrennbarkeit von Emotionen(E), Intuition(i) und Kognition(K), die KiE-Trilogie, formt aus dem Widerspruch ein kohärentes Weltbild: Angst(E) und Schlange(K) passen zusammen.

Die dabei zwangsläufig einhergehenden Gefühle sowie biochemischen und sonstige Körperreaktionen werden in einem späteren Beitrag veröffentlicht, genauso wie die Intuition.

Das kohärente Weltbild – selten wahr, aber immer stimmig

Das kohärente Weltbild ist nicht wahr oder richtig, es ist nur stimmig, im Sinne, dass die Ergebnisse aus dem Emotions- und Kognitionssystem, die Angst(E) und der Zweig(K), in ein stimmiges (kohärentes) Weltbild zusammengefügt werden.

Dieser neurologische Prozess geschieht so schnell, dass man bei diesem emotiv-kognitiven Zyklus eher davon sprechen könnte: „wir werden gedacht“.

Dieses kohärente Weltbild „Ich bin vor einem Zweig schreiend weggesprungen, weil ich ihn mit einer Schlange verwechselt habe.“ ist nicht wahr und kann es nicht sein. Die Zeitdauer, den Zweig wahrzunehmen, beträgt eine gute halbe Sekunde genauso wie die Erinnerung an eine Schlange. Diese beiden kognitiven Prozesse plus den Vergleich dauern knapp zwei Sekunden. Wir sind aber bereits nach 350 Millisekunden schreiend weggesprungen.

Emotiv-kognitive Zyklen können mehrfach durchlaufen werden, um aus vorläufigen Entscheidungen eine bewusste Entscheidung herbeizuführen. Bei zu wenigen Durchläufen ist eine Entscheidung leichtfertig, bei zu vielen kommt man ins Grübeln und manchmal nie zu einer Entscheidung.

Die emotiv-kognitiven Zyklen können über die internen Entscheidungsprozesse hinausgehen, wenn die gewünschte Wirkung noch nicht erkannt ist.

Abbildung: Internale und externale emotiv-kognitive Zyklen

Die Analogie zu Agilen Methoden ist leicht erkennbar. So wie Gedanken und vorläufige Entscheidungen reifen, so tun das Stories im Product-Backlog sowie Product-Increments.

Was haben emotiv-kognitive Zyklen mit Agiler Transformation zu tun?

Agile Methoden sind emotiv-kognitive Zyklen, weil sie genauso iterativ Increments=„Kohärentes Weltbild“ in Zyklen erstellen. Im Review wird erkennbar, wie weit die Anforderungen=“Kohärentes Weltbild1“ mit dem Product-Increment=„Kohärentes Weltbilder2“ übereinstimmen.  Wie Gedanken und Entscheidungen in emotiv-kognitiven Zyklen reifen, tun dies Artifacts in den agilen Methoden.  Scrum ist im Kern ein Priorisierungsprozess, das was im Sprint getan wird und was nicht. DecisionMaking, ausgerichtet an der KiE-Trilogie, ist der wesentliche Erfolgsfaktor für agile Methoden: der Priorisierungsprozess im Refinement und im Sprint Planning sowie Commitment-Prozesse in allen Ceremonies, Artefacts und Roles.

Abbildung: KiE-DecisionMaking empowers, disrupts und create agile Methods

DecisionMaking, ausgerichtet an der KiE-Trilogie, stärkt bestehende agile Methoden und ersetzt dysfunktionale Prozesse disruptiv, genauso wie neue agile Methoden designt werden können.

Der größte Bedarf, damit die Agilität erreicht wird, sind agile Prozesse im Fachbereich (Stakeholder) um Ideation zu Requirements und Epics zu Stories reifen zu lassen. Erst dann können agile Teams in den Sprints Tasks committen und sie mit stabiler Velocity abarbeiten.

Die Agile Transformation versucht, das agile oder ein gewünschtes Mindset zu entwickeln. Offenheit als Wert ist ein Verhalten, das aus der KiE-Trilogie erzeugt wird, genauso wie mutiges Verhalten aus emotiv-kognitiven Zyklen entsteht. Siehe: Mut ist eine zusammengesetzte Emotion – wichtig und kritisch zugleich:

Was haben emotiv-kognitive Zyklen mit Künstlicher Intelligenz zu tun?

Die Befürchtung vieler Manager, Künstliche Intelligenz (KI) würde sie ersetzen, ist berechtigt.

Die Aussage des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman, „der Mensch ist ein unsicherer Entscheider und muss durch Algorithmen (Künstliche Intelligenz) ersetzt werden“, feuert die Befürchtung aller an. In Ankündigungen von Konzernen ist dies bereits Realität.

Eine Design-Vorlage für Künstliche Intelligenz, die an der KiE-Trilogie ausgerichtet ist, -würde weitergehen. Bisherige KI ist Cognitive Computing. Ihre Erweiterung durch emotiv-kognitive Zyklen würde sie zur Künstlichen Menschlichen Intelligenz (KmI) beziehungsweise zur Artificial Human Intelligence (AhI) machen.

Wie weit Menschen das Wissen um und mit der KiE-Trilogie zu neuem disruptivem Denken nutzen oder wie weit eine eingeschränkte Künstliche Intelligenz den unsicheren Entscheider Mensch verdrängt, wird die Zeit zeigen.

Persönlich würde ich es vorziehen, wenn Menschen den Nutzen und die Möglichkeiten der KiE-Trilogie zuerst erkennen und damit eine KmI entwickelt wird, die Menschen nutzt.

 

 

November 2019

Richard Graf (DecisionMaking, Emotionsforscher und Agile Transformation Coach)

Elsa Graf (Head of KiE-Marketing)

Literatur

R. Graf, Die neue Entscheidungskultur, Hanser Verlag, 2018